Die Troll-Diskussion ums Tempolimit

Kaum ein Thema wurde über so lange Zeit, immerhin einige Jahrzehnte, immer wieder diskutiert, ohne dass jemals ein Ergebnis dabei herauskam: Das allgemeine Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Jetzt, wo sowohl Verkehrsminister Wissing als auch Kanzler Scholz ein Tempolimit ausgeschlossen haben [4], ist interessanterweise die CDU nicht mehr dagegen, nachdem sie 16 Jahre lang sogar sehr dagegen war.

Leider ist auch bei diesem Thema festzustellen, dass die Folgen der Bildungsmisere unübersehbar sind.

Das mit Abstand am häufigsten vorgebrachte Argument für ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen ist der Klimaschutz. In einer Studie von 2020 [2] schreibt das Bundesumweltamt, dass eine Treibhausgasminderung von 2,2 Mio. Tonnen bei einem Tempolimit von 130 km/h und 2,9 Mio. Tonnen bei einem Tempolimit von Tempo 120 km/h erreichbar wäre. Da der Verkehrssektor insgesamt ca 146 Mio. Tonnen CO2 ausgestoßen hat [3], entspricht das einer Minderung von 1,5% bzw. 2,0%. An anderer Stelle wird von 2,7% bei Tempo 120 gesprochen [5]. Dort ist aber nur von PKW und leichten Nutzfahrzeugen die Rede. Schwere LKW werden als aus dem Gesamtbestand zunächst herausgerechnet: Dadurch wird der Nenner im Bruch (Einsparung geteilt durch Gesamtausstoß) kleiner, und das Ergebnis wie gewünscht größer.

Da eine Einsparung von 2% nur wenig Verständnis für ein Tempolimit hervorruft, wurde die Kommunikation einfach geändert: An einigen Stellen wird inzwischen mit dem Autobahn-Flottenverbrauch von PKW und leichten Nutzfahrzeugen gearbeitet. Dann ergibt sich eine Einsparung von 6,6% bei 120 km/h [6], [11]. Das ist bereits das erste Beispiel für die Bildungsmisere. Da 6,6 größer als 2 ist, sorgt die Aussage "6,6% des Autobahn-Verbrauchs" für mehr Zustimmung zum Tempolimit als die Aussage "2% des Verbrauchs des Verkehrssektors", obwohl beide Werte exakt das gleiche bedeuten.

Allerdings hatte auch diese Form der Manipulation der Bevölkerung noch nicht den gewünschten Effekt. Daher wird vor allem seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine verstärkt mit absoluten Zahlen gearbeitet: Ein Tempolimit von 130 km/h kann rund 600.000 Tonnen Kraftstoff oder 2 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Diese Zahlen sind grob gerundet, das ist aber hier nicht weiter tragisch. Da 600.000 und 2 Millionen noch größere Zahlen sind als 6,6 oder 2, führt allein die Verwendung der größeren Zahlen zu mehr Zustimmung zu einem Tempolimit. Ohne Bildungsmisere und ohne Manipulationsabsicht der Autoren würde es überhaupt keine Rolle spielen, ob man von 2% des Verbrauchs des Verkehrssektors, von 6,6% des PKW-Autobahnverbrauchs, oder von 600.000 Tonnen Kraftstoff spricht. In allen drei Fällen wäre die Zustimmung in der Bevölkerung zu einem Tempolimit gleich groß. Einige wären dafür, und würden sagen, dass diese 2% einen ausreichenden Grund darstellen, andere wären dagegen, und würden sagen, dass diese 2% keinen ausreichenden Grund darstellen. Aber die Bevölkerung würde verstehen, dass die drei Angaben alle das gleiche bedeuten.

Bei den oben genannten Zahlen von 2%, 6,6%, oder irgendwelchen hunderttausenden Tonnen ist noch gar nicht berücksichtigt, dass vor allem Selbstzahler (im Gegensatz zu Tankkarteninhabern) ohnehin ein Motiv haben, langsamer zu fahren. Zwar wurden angeblich Untersuchungen gemacht, die zeigen sollen, dass im Wesentlichen genauso schnell gefahren wird wie vorher, aber wenn man solche Untersuchungen dort macht, wo ohnehin ein Tempolimit herrscht, oder wo ohnehin dauernd zähfließender Verkehr ist, dann ist es nicht überraschend, dass Autofahrer im zähfließenden Verkehr nicht noch langsamer fahren als vorher im zähfließenden Verkehr.

Warum spart ein Tempolimit eigentlich so wenig Kraftstoff, obwohl der Verbrauch bei hoher Geschwindigkeit unstrittig viel höher ist? Ganz einfach: Die Mehrzahl der Autofahrer ist praktisch nie auf Autobahnen unterwegs. Von denjenigen, die Autobahnen nutzen, fahren mehr als 80% eigenen Angaben zufolge ohnehin nie schneller als 130 km/h. Die verbleibenden Fahrer können dann nur selten deutlich schneller fahren, weil die Autobahn zu voll ist, oder Baustelle, oder wieder einmal Stau. Um zum Beispiel den Test zum AdBlue-Verbrauch mit 180 km/h und mit 200 km/h machen zu können (siehe AdBlue, AGR und DPF: Analyse mittels VCDS), musste ich jeweils einmal Sonntag früh um 5 Uhr aufstehen. Bereits 2 Stunden später wäre das völlig aussichtslos gewesen.

Letzte Zweifel daran, dass es sich um eine Troll-Diskussion handelt, können anhand der Diskussion über Tempo 30 in Innenstädten beseitigt werden: Bei Tempo 30 ist der Verbrauch höher als bei Tempo 50, das gilt insbesondere auch für meinen Škoda Superb mit 7 Gängen. Dass eine Erhöhung des Verbrauchs zur Einsparung von Kraftstoff führen soll, ist absurd. Dort, wo es zu eng oder zu laut ist, können Kommunen übrigens jetzt schon Tempo 30 anordnen.

Die nächste Stufe des Unsinns erreicht der Städtetag Baden-Württemberg: Der behauptet nun, es sei eine Einsparung von einem Sechsel, also 16,7 Prozent möglich [12]:

Der Städtetag forderte die grün-schwarze Landesregierung auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen. Für die Autobahnen solle Tempo 130 und für die die Landstraßen ein Tempolimit von 80 Kilometer pro Stunde gelten. Dies würde den CO₂-Ausstoß bundesweit auf einen Schlag um ein Sechstel reduzieren

Was die Befürworter eines Tempolimits gerne verschweigen: Wem Kraftstoff zu teuer ist, der darf heute schon langsamer fahren. Um LKW nicht zu behindern, wären etwa 90 km/h das Minimum. Es gibt keine Verpflichtung, schneller zu fahren, schon gar nicht schneller als 130 km/h. Im Gegenteil: Im Falle eines Unfalls bei einer Geschwindigkeit oberhalb von 130 km/h können Versicherungen die Leistung kürzen, oder zumindest bekommt der Fahrer eine Mitschuld, so dass seine Haftpflichtbeiträge steigen, sogar dann, wenn eigentlich nur der andere Schuld am Unfall war. Dienstwagenfahrer könnten bei Unfällen bei hoher Geschwindigkeit nachweisen müssen, dass die Geschwindigkeit nichts damit zu tun hatte, wenn eine uneingeschränkte Versorgung der Unfallverletzungen im Rahmen der Versicherung des Arbeitgebers erfolgen soll.

Noch erstaunlicher ist, dass die wenigen sinnvollen Argumente für ein Tempolimit praktisch nicht verwendet werden. Wahrscheinlich soll der Bevölkerung nicht zugemutet werden, sich mit Tatsachen zu beschäftigen, die komplizierter als 2%, 6,6% oder Millionen Tonnen sind, nämlich die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den Fahrspuren: Wenn links ein schneller PKW mit 250 km/h an einem LKW vorbeifahren will (Differenz: 170 km/h), und ein PKW hinter dem LKW schert aus, wird es spannend. Das Problem ist hierbei, dass derart hohe Geschwindigkeitsdifferenzen schwer einschätzbar sind. Der Fahrer des PKW hinter dem LKW kann kaum unterscheiden, ob der schnelle PKW nur 100 km/h oder doch 170 km/h schneller ist. Das wäre aber schon wichtig, um zu entscheiden, ob er noch vorbei kommt, ohne den schnellen PKW zu behindern.

Heise berichtete im Jahr 2022, dass bei einer Umfrage nur eine Minderheit gegen ein allgemeines Tempolimit sei. Um dieses Ergebnis generieren zu können, wurden 2019 Personen befragt. Nur 1558 darunter wahren überhaupt Autofahrer [1].

Da das Einsparpotential eines Tempolimits zu gering ist, hat das Umweltbundesamt eine neue Studie veröffentlicht, die ein größeres Einsparpotential postuliert [8]. Um dieses Ergebnis zu erreichen, geht die Studie von beinahe aberwitzigen Annahmen aus. So würden laut dieser Studie Autobahnen durch ein Tempolimit auf Grund der angeblich stark steigenden Reisezeit unattraktiv, und Menschen würden wegen des Tempolimits auf die Bahn umsteigen, obwohl diese immer unpünktlicher wird [9]. Gleichzeitig wird dort argumentiert, dass ein Tempolimit den Verkehr flüssiger mache. Dass flüssigerer Verkehr aber Autobahnen tatsächlich attraktiver macht, ist beim Umweltbundesamt wohl niemandem aufgefallen.

Ein noch dümmeres Argument kommt von der Gewerkschaft der Polizei: Da sich bei E-Autos die Reichweite verringere, wenn man schneller als 130 km/h fahre, erfordere die zunehmende Verbreitung von E-Autos ein Tempolimit [10]. 

Elektrofahrzeuge ließen sich nicht ohne verkürzte Reichweite mit Geschwindigkeiten über 130 km/h bewegen

Hierzu folgender Hinweis: die Reichweite meines Diesels liegt bei 200 km/h nur noch bei 500 km, während ich normalerweise zwischen zwei Tankstellenbesuchen 1.100 km schaffe. Die Aussage, dass sich die Reichweite bei höherer Geschwindigkeit verkürzt, gilt definitiv nicht nur für E-Autos, und das ergibt sich bereits daraus, dass bei doppelter Geschwindigkeit der Luftwiderstand auf das Vierfache steigt. Hier sind wir wieder beim Thema der Bildungsmisere, denn den Sprechern der Gewerkschaft der Polizei scheint nicht klar zu sein, dass die Reichweite sich bei höheren Autobahngeschwindigkeiten immer, wirklich immer verkürzt, bei allen Antriebsarten. Desweiteren gilt auch hier: wem die Reichweite seines E-Autos bei über 130 km/h zu gering ist, der darf heute bereits langsamer fahren. Wie weiter oben bereits beschrieben, kann man per Abstandstempomat einem LKW folgen, wenn man möchte.

Befürworter eines allgemeinen Tempolimits verwenden gerne das Totschlagargument, dass praktisch alle anderen Länder auch ein Tempolimit haben. Das ist das Argument, dass Millionen Fliegen nicht irren können. Nur: warum verwenden diese Personen das Argument, dass Millionen Fliegen nicht irren könnten, nur beim Tempolimit, aber nicht bei der Kernenergie? Bei der Kernenergie ist Deutschland nämlich der "Geisterfahrer". Das gleiche gilt bei HVO100: Deutschland hat sich lange dagegen gesträubt, mit mehr oder weniger absurden Begründungen, HVO100 zum freien Verkauf an Tankstellen zuzulassen, auch als alle anderen europäischen Länder diesen Kraftstoff längst freigegeben hatten. Deutschland war bei HVO100 der Geisterfahrer. Trotzdem jammern jetzt genau die, die das Geisterfahrerargument beim Tempolimit verwenden, dass Deutschland bei HVO das gemacht hat, was alle anderen längst auch gemacht haben.

Am ehrlichsten war bisher Saskia Esken: Sinngemäß sagte sie, Deutschland brauche ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen, weil Nord-Korea und Afghanistan keins hat [7]. Das sind zwar auch Falschinformationen, denn in beiden Ländern gelten Tempolimits, aber einen Versuch war es wohl wert.

Externe Links

[1] Umfrage: Minderheit gegen allgemeines Tempolimit (Quelle: heise, abgerufen: 17.07.2022)

[2] Klimaschutz durch Tempolimit (abgerufen: 29.08.2022)

[3] Klimaschonender Verkehr (46Quelle: Bundesregierung, abgerufen: 29.08.2022)

[4] Scholz schließt Tempolimit auf Autobahnen aus (Quelle: MDR, abgerufen: 29.08.2022)

[5] Klimaschutzinstrumente im Verkehr Tempolimit auf Autobahnen (Quelle: UBA, Stand: 14.10.2021, angerufen: 29.08.2022)

[6] Was bringt ein Tempolimit auf Autobahnen?

[7] Eskens Nordkorea-Vergleich ist idiotisch

[8] Tempolimit würde Klima deutlich stärker schützen als bisher angenommen (Quelle: Spiegel, abgerufen: 21.01.2023)

[9] Warum ist die Bahn so unpünktlich? (Quelle: FAZ, abgerufen: 21.01.2023)

[10] Gewerkschaft der Polizei: Elektroautos machen Tempolimit nötig (Quelle: heise, abgerufen: 31.08.2024)

[11] Tempolimits könnten mehr Treibhausgase sparen, als bisher gedacht (Quelle: UBA, abgerufen: 01.10.2024)

[12] https://www.heise.de/news/Verkehrswende-Staedtetag-Baden-Wuerttemberg-fordert-Kompetenz-fuer-Tempolimits-9959274.html

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