Begriff "Thermofenster"
Ein Begriff, der im Zusammenhang mit Diesel-Fahrzeugen immer wieder auftaucht, sind "Thermofenster". Damit ist der Außentemperaturbereich gemeint, außerhalb dessen Teile der Emissionsminderung (falsch: "Abgasreinigung", siehe Abgasrückführung ist keine Abgasreinigung) nicht oder nicht vollständig arbeiten. Ein Thermofenster liegt aber nicht vor, wenn es z.B. eine Zieltemperatur für das Motorkühlmittel gibt und bei Kälte das Motorkühlmittel ohne gesonderte Maßnahmen nicht ausreichend warm wird. Das Thema bei Thermofenstern ist die Verwendung der Außentemperatur zur Steuerung des Emissionsminderungssystem.
Tatsächlich gibt es keine gesonderten Regeln für Thermofenster. Solche Thermofenster verringern die Wirksamkeit des Emissionsminderungssystems, und es gelten einfach die gleichen gesetzlichen Anforderungen wie an andere Eigenschaften, die die Wirksamkeit des Emissionsminderungssystems verringern. Diese sind in der Verordnung 715/2007 zu finden. Zum Beispiel sind sie ausnahmsweise legal, wenn ein Schaden abgewendet wird, wobei Verschleiß nicht als "Schaden" gilt. Friert AdBlue auf dem Weg vom Tank zum Injektor in der Leitung ein, liegt ein Schaden vor. Die Volllastanreicherung bei Benzinern verringert die Verbrennungs- und Abgastemperatur und verhindert Hitzeschäden am 3-Wege-Katalysator, und zwar für den Preis exorbitant steigender Kohlenmonoxid-Emissionen (siehe Benziner, Benzindirekteinspritzer und (Ultra)Feinstaub). Anti-Diesel-Trolle fordern aber nur von Diesel-Fahrzeugen, dass sie Abgasgrenzwerte unter allen Umständen einhalten. Von Benzinern fordern sie das nicht (siehe Allgemeines über Antidieseltrolle). Daher stören sich Anti-Diesel-Trolle nicht an der Volllastanreicherung von Benzinern.
Das Problem
Emissionsminderungssysteme müssen laut Abgasverordnung so konstruiert sein, dass sie bei normalen Bedingungen (z.B. Temperaturen) und bestimmungsgemäßem Gebrauch auch funktionieren. In Europa umfassen solche Bedingungen weder -40°C noch 3000 Meter über dem Meeresspiegel, auch wenn es in Teilen von Finnland nachts tatsächlich -40°C geben kann.
Und genau an dieser Stelle findet sich das tatsächliche Problem. Das Thema hat Beachtung gefunden, seit bei immer mehr Fahrzeugen aufgefallen ist, dass Emissionsminderungssysteme bereits bei in Deutschland bzw. Europa üblichen Temperaturen nicht mehr (vollständig) funktionieren:
- Die Deutsche Umwelthilfe hat bei einer Mercedes C-Klasse, Euro 6b, gezeigt, dass bereits bei +5°C die Wirksamkeit des SCR-Systems stark reduziert ist [1]
- Die Deutsche Umwelthilfe hat bei einem Volvo XC60, Euro 5, gezeigt, dass die Abgasrückführung bei -4°C nicht mehr arbeitet [2] (hier wird der Begriff der Abgasreinigung wieder einmal falsch verwendet).
- Es gibt mehrere Berichte darüber, dass VW EA189-Motoren (Euro 5) mit Software-Update bei -10°C die Abgasrückführung komplett abschalten [Quelle fehlt noch], aber auch schon bei deutlich höheren Außentemperaturen außentemperaturgesteuert die AGR-Rate reduzieren.
- Für einen Opel wurde 2016 nachgewiesen, dass das SCR-System nur von ca. +17°C bis +33°C arbeitet [4]
Bei den allermeisten Euro 5 - Fahrzeugen ist noch wichtig zu erwähnen, dass sie über kein SCR-System verfügen. Wird die AGR-Rate reduziert, steigen mit der Stickoxid-Produktion sofort die Stickoxid-Emissionen deutlich an. Wäre dagegen ein SCR-System vorhanden und würde der AdBlue-Verbrauch bei niedrigen Außentemperaturen entsprechend der höheren Stickoxid-Produktion steigen, wäre das völlig in Ordnung. Das Emissionsminderungssystem wäre dann ja weiterhin wirksam. Die Konstellation, dass bei niedrigen Außentemperaturen die Abgasrückführung verringert wird, und gleichzeitig der AdBlue-Verbrauch steigt, findet man bei aktuellen Fahrzeugen mit Euro 6d, siehe Analyse mittels VCDS - Teil 2: EA288 evo im Winter und Analyse mit VCDS: EA288 evo und die Abgasrückführung.
Wenn Anti-Diesel-Trolle nun behaupten, Gerichte hätten bestätigt, dass Thermofenster illegal seien, dann ist das schlicht falsch. Richtig ist: Gerichte haben bestätigt, dass enge Thermofenster illegal sind, also Thermofenster, die die Wirksamkeit des Emissionsminderungssystem so oft verringern, dass hier die Ausnahme zur Regel wird. In Deutschland liegt die Jahresdurchschnittstemperatur um die +10°C. Funktion ein Emissionsminderungssystem also nur zwischen +17°C und +33°C, dann arbeitet es während deutlich weniger als der Hälfte des Jahres. Diese Urteile beziehen sich immer auf Fahrzeuge, bei denen die tatsächlichen Emissionen weit über dem Grenzwert liegen. Ein System, das bei Kälte die Abgasrückführung verringert, und gleichzeitig den AdBlue-Verbrauch erhöht, war nie Gegenstand eines solchen Verfahrens.
Im November 2022 gab es ein weiteres Urteil dazu mit dem gleichen Tenor. Auszug aus [5]:
Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar
Bestimmungsgemäßer Gebrauch
Emissionsminderungssysteme müssen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch funktionieren. Aber was bedeutet das? Das lässt sich am einfachsten erklären, wenn man ein Beispiel für nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch zeigt:
Die Abgasverordnung fordert, dass NOx-Nachbehandlungssysteme von Dieselfahrzeugen, also NOx-Speicherkatalysatoren oder das SCR-System, bei -7°C Kaltstarttemperatur nach 400 Sekunden ausreichend warm für einen sicheren Betrieb sind. Gilt das auch beim Warmlaufen lassen? Nein, denn Warmlaufen lassen ist aus Umweltschutzgründen verboten und daher kein bestimmungsgemäßer Gebrauch.
Trotzdem liefert diese Klausel eine wichtige Information: Wenn ein solches System 400 Sekunden nach einem Kaltstart bei -7°C betriebswarm sein muss, dann ist es sehr schwierig, eine Argumentation zu finden, warum die AdBlue-Einspritzung bereits bei einer Außentemperatur von -7°C (oder größerer Wärme) abgeschaltet werden darf.
Weitere Fenster
Neben Thermofenstern wurden weitere Fenster gefunden, jedoch zum Teil falsch bewertet. Zum Beispiel wurde behauptet, dass eine Verringerung der Abgasrückführung in großer Höhe eine illegale Abschalteinrichtung sei.
So einfach ist es aber nicht. Zunächst einmal ist allgemein bekannt, dass für jede Verbrennung Sauerstoff benötigt wird. Das gilt auch für die Verbrennung von Kraftstoff. Die Abgasrückführung führt sauerstoffarmes Abgas zurück in den Brennraum und verringert so den Anteil von Sauerstoff in der Luft im Motor. Durch den geringeren Sauerstoffanteil sinkt die Verbrennungstemperatur, und damit die Stickoxid-Produktion. In großer Höhe ist jedoch die Luft dünner, d.h. es befindet sich auch insgesamt weniger Luft im Motor, und damit auch weniger Sauerstoff. Um trotzdem ausreichend Sauerstoff im Motor zu haben, darf also nur weniger Abgas zugemischt werden. Eine Abhängigkeit der Abgasrückführung vom Luftdruck, und damit auch von der Höhe über Normalnull, ist also völlig normal.
Ähnliches gilt für die Drehzahl des Motors: Die DUH hat einmal behauptet, die Abgasrückführung dürfe bei 3500/min nicht abgeschaltet werden. Sie hat sogar einmal den falschen Eindruck erweckt, als sei eine so hohe Drehzahl für Dieselmotoren ein normaler Betriebszustand [6]. Dabei wird erwähnt, dass das Testfahrzeug im 5. Gang bei 112 km/h diese Drehzahl habe. Es wurde jedoch vergessen zu erwähnen, dass das Fahrzeug deutlich mehr als 5 Gänge hat. Um es noch einmal klar zu sagen: Stark erhöhte Emissionen bereits bei NEFZ+10% sind verdächtig. Eine AGR-Abschaltung bei 3500/min ist nicht verdächtig, und 3500/min ist eine bei Dieselmotoren selten auftretende Drehzahl.
Anders verhält es sich bei AdBlue-Systemen: Die chemischen Reaktionen bei der Verdampfung von AdBlue und bei der Reaktion von Ammoniak und Stickoxiden im SCR-Katalysator haben wenig mit Sauerstoff zu tun. Zwar ist Sauerstoff für die chemischen Reaktionen nötig, entsprechende Laborexperimente zeigen jedoch, dass ein Sauerstoffanteil von 2 Prozent im Abgas völlig ausreicht. Eine plausible Erklärung, warum das AdBlue-System einem Höhenfenster (genauer: Luftdruck-Fenster) unterliegen sollte, ist mir nicht bekannt. Zwar ist eine Verschlechterung der Funktion bei sehr hohem Kraftstoffdurchsatz (gemessen in Litern pro Stunde) normal, eine Komplettabschaltung wäre aber auch hier technisch schwer zu begründen.
Die eigentliche Frage ist in allen Fällen die gleiche: Darf das Abgassystem eines Fahrzeugs so knapp ausgelegt sein, dass es nur unter Idealbedingungen ausreichend leistungsfähig ist? Gerichte sagen dazu: Nein. Wahrscheinlich hätte bereits bei Euro 5 flächendeckend ein AdBlue-System eingesetzt werden müssen. In großer Höhe wäre dann, bei reduzierter Abgasrückführung, einfach der AdBlue-Verbrauch höher gewesen.
Und Euro 4?
Siehe hierzu den Artikel Analyse mittels VCDS - Teil 3: EA188 im Winter
Das Auslesen von Daten eines einzigen Fahrzeugs lässt natürlich so noch keine Verallgemeinerung zu, aber die Erkenntnis passt dazu, dass Euro 4 - Diesel-PKW im Flottendurchschnitt weniger Stickoxide ausstoßen als Euro 5 - Fahrzeuge [3]: Bei niedrigen Außentemperaturen würden sie, falls sich meine Ergebnisse verallgemeinern lassen, eine viel geringere Verschlechterung gegenüber sommerlichen Bedingungen zeigen als viele Euro 5 - Fahrzeuge.
Externe Links
[1] Dramatische Erhöhung der giftigen Stickoxid-Emissionen bei herbstlichen Außentemperaturen: Mercedes C-Klasse 250 d schmutziger als 25 Jahre alter Diesel-Pkw (Quelle: DUH, abgerufen: 27.02.2021)
[2] Dieselgate erreicht Volvo: Abgasmessungen der Deutsche Umwelthilfe zeigen illegale Abschaltung der Abgasreinigung bei einem Euro 5 Diesel-Volvo XC60
[3] Stickoxid-Belastung durch Diesel-Pkw noch höher als gedacht (Quelle: Umweltbundesamt, abgerufen: 27.02.2021)
[4] Software Defined Emissions A hacker’s review of Dieselgate (abgerufen: 13.03.2022)
[5] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2022-11/cp220176de.pdf
[6] Dieselgate erreicht BMW: Abgasmessungen bei einem BMW 320d zeigen klare Indizien für Abschalteinrichtungen (Quelle: DUH, abgerufen: 19.11.2022))