Analyse mittels VCDS: EA288 evo - Motor bei niedrigen Außentemperaturen

Anlässlich des Wetters in Süddeutschland Mitte Dezember 2022 war es mir möglich, das Verhalten des AGR- und SCR-Systems meines Fahrzeugs bei niedrigen Außentemperaturen zu untersuchen. Die Funktionsweise, und insbesondere das Thema des AdBlue-Verbrauchs, von SCR-Systemen erkläre ich hier.
Im folgenden beschreibe ich zwei Testfahrten entlang der gleichen Strecke:
- eine Testfahrt bei -14°C bis -18°C, kurzzeitig -19°C
- eine Testfahrt bei -5°C bis -10°C, kurzzeitig -11°C
Um den Test bei der ersten Fahrt nicht zu leicht zu machen, habe ich das Fahrzeug ausnahmsweise in der vorherigen Nacht draußen geparkt.
Wie im ersten Teil ersten Teil erwähnt, handelt es sich um einen Škoda Superb mit VW EA288 evo-Motor und Abgasnorm Euro 6d.
Zunächst einmal der genaue Testaufbau für die Testfahrt 1:

- Das Fahrzeug wurde ca. 24 Stunden vor dem Test bei -5°C ins Freie gestellt. Die Temperatur im AdBlue-Tank lag zu diesem Zeitpunkt bei +4°C. Tagsüber blieb die Außentemperatur unter 0°C. Der Parkplatz liegt relativ gut geschützt, so dass die Temperatur dort nur auf -11°C gesunken ist
- Zum Zeitpunkt des Testbeginns lag die Außentemperatur auf dem Parkplatz immer noch bei -11°C, die Temperatur im AdBlue-Tank bei -8°C
- Nach dem Beginn der Datenaufzeichnung habe ich noch 14 Sekunden bis zum Starten des Motors gewartet. Das muss beim Lesen der Daten berücksichtigt werden, vor allem bei der Auswertung der Zeitspanne, bis das Fahrzeug beginnt, AdBlue zu verbrauchen
- Das Fahrzeug glüht schon beim Einschalten der Zündung vor, nicht erst beim Auslösen des Motorstarts. Da ich nicht erneut vorgeglüht habe, hat der Motorstart ungewöhnlich lange gedauert, zu sehen in einem der Screenshots unten. Dieses Verhalten ist nicht normal, wenn man nach dem Vorglühen gleich starten würde.
- Direkt nach dem Motorstart habe ich die Frontscheibenheizung, die Heckscheibenheizung sowie die Lenkradheizung eingeschaltet, die Sitzheizung aber nicht.
- Direkt nach dem Verlassen der geschützt liegenden Straße vor dem Wohngebäude ist die Außentemperatur auf -13°C bis -14°C gesunken
- In den ersten 450 Sekunden des Tests bin ich maximal 35 km/h gefahren. Bei 200 Sekunden musste ich an einer Engstelle warten. Beides macht es dem Fahrzeug besonders schwierig, das SCR-System möglichst schnell aufzuwärmen
- Auf der anschließenden Teststrecke ging es u.a. durch Waldgebiete und durch eine bekannte Kältesenke
Die Datenaufzeichnung war im Bereich 2090 bis 2130 Sekunden gestört.
Die folgende Abbildung zeigt die Geschwindigkeit, Drehzahl und Außentemperatur der Fahrt. Es gibt auf der Strecke keine nennenswerten Steigungen oder Gefälle. Die Abbildungen können durch Anklicken in einer besseren Auflösung angezeigt werden:
Die Zeit bis zum Einsetzen des AdBlue-Verbrauchs kann am besten in den Rohdaten überprüft werden. Während diese Zeitspanne bei gemäßigten Temperaturen bei nur ca. 2 Minuten lag, waren es hier fast 6 Minuten, genauer, etwa 350 Sekunden ab dem Zeitpunkt, wo der Motor gelaufen ist. Ohne die Wartezeit an der Engstelle hätte es etwas weniger sein können, wäre aber sicher über 5 Minuten geblieben. Man erkennt in Zeile 1175, dass der AdBlue-Verbrauch mit 11188,126g höher ist als in der Zeile davor.
Zulässig wären 400 Sekunden bei -7°C, hier haben wir 350 Sekunden bei -14°C und erschwertem Fahrprofil. Wir liegen also im grünen Bereich.
Ich habe auch die Temperatur der SCR-Katalysatoren protokolliert, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Temperatur in SCR2 vom Motorsteuergerät anhand anderer Sensorwerte berechnet wird:
Man sieht beim Verlauf der Temperatur, dass die Temperatur in SCR1 bis ca. 400 Sekunden steigt, und dann zunächst bei etwa 230°C konstant bleibt. Das ist geringfügig länger als die 370 Sekunden ab Aufzeichnungsstart, die es bis zum Einsetzen des AdBlue-Verbrauchs gedauert hat. Genau das ist die Aufheizphase des SCR-Systems. Ein weiterer Anstieg ist erst bei 600 Sekunden beim Erhöhen der Geschwindigkeit zu sehen.
Die Temperatur der SCR-Katalysatoren ist deutlich höher als bei gleicher Geschwindigkeit bei milden Temperaturen. Warum das so ist, sehen wir unten noch.
Als nächstes schauen wir uns die Werte der NOx-Sensoren an. Hier fällt nicht nur auf, dass die NOx-Sensoren länger als im Sommer brauchen, um aufzuwärmen, sondern auch, dass die Werte für NOx vor SCR bei niedriger Last, d.h. bei konstanter niedriger Geschwindigkeit ohne Steigung, 2 bis 3 Mal so hoch sind wie sonst üblich, an einzelnen Stellen sogar 4 Mal so hoch. Mit "sonst üblich" meine ich Messwerte aus anderen Tests bei gleicher Fahrweise. Auch im Standgas liegen die Werte mit 150 bis 200 ppm beim Doppelten bis Dreifachen des sonst Üblichen. Bei 100-120 km/h sind die Werte dagegen vergleichbar mit den sonst üblichen Werten. Die Werte nach SCR sind meistens niedrig. Die konstante Last sieht man gut bei 1550 bis 1750 Sekunden, Standgas sieht man zwischen 1900 und 1950 Sekunden beim Warten an einer roten Ampel:
Bei etwas erhöhter Last, zum Beispiel bei leichter Beschleunigung, steigen die Werte für NOx vor SCR normalerweise an. Das tun sie in diesem Fall jedoch nicht. Sie bleiben meist im Bereich 200 bis 300 ppm. Die ungewöhnlich hohen Werte für NOx vor SCR betreffen also nur Situationen mit sehr geringer Last.
Aber was bedeutet das nun? Es bedeutet vor allem zwei Dinge:
- Der AdBlue-Verbrauch muss bei geringer Last erheblich steigen, andernfalls wäre nicht erklärbar, dass NOx vor SCR viel höher ist, NOx nach SCR aber niedrig bleibt. Davon abgesehen wäre es wahrscheinlich eine unzulässige Abschalteinrichtung, wenn die höhere NOx-Produktion im Motor nicht mit erhöhtem AdBlue-Verbrauch ausgeglichen werden würde
- Die Abgasrückführung regelt einerseits die Verbrennungs- und Abgastemperatur, andererseits auch die Menge im Motor entstehender Stickoxide. Die beobachteten Werte für NOx vor SCR sind nur erklärbar, wenn sich die Abgasrückführung bei niedrigen Außentemperaturen anders verhält als bei gemäßigten Temperaturen.
Auf Grund der Limitierung von VCDS, dass nur 12 Werte gleichzeitig aufgezeichnet werden können, konnte ich nicht alles aufzeichnen, was ich gerne aufgezeichnet hätte, insbesondere habe ich nicht den Kraftstoffverbrauch aufgezeichnet. Den AdBlue-Verbrauch habe ich aber, die Abgasrückführung ebenso.
Der AdBlue-Verbrauch liegt hier im Bereich 1l/1000km, über die gesamte Testfahrt waren es 0,9l/1000km. Man sieht wieder den Effekt, dass der Übergang von niedriger zu höherer Last, z.B. durch höhere Geschwindigkeit, zunächst dazu führt, dass in den Katalysatoren gespeicherter Ammoniak verbraucht wird. Leider ist auch die Ammoniak-Beladung dem 12-Werte-Limit zum Opfer gefallen, es ist jedoch ganz klar, was man sehen würde: Bei 650 bis 900 Sekunden würde man sehen, dass die Ammoniak-Beladung in SCR1 fortlaufend sinkt. Erst danach wird wieder AdBlue verbraucht und somit wieder Ammoniak nachgeliefert.
Insgesamt sieht man, dass der AdBlue-Verbrauch doppelt so hoch ist wie bei gemäßigten Temperaturen auf der gleichen Strecke.
Für die Abgasrückführung musste ich die Darstellung horizontal strecken, da sonst die Hochdruck-Abgasrückführung auf Grund der hohen Bewegung in den Werten zu dominant wäre.
Man sieht hier, dass die Niederdruck-Abgasrückführung viel weniger aktiv ist als üblich, sie ist nur beim Beschleunigen, im kurzen Abschnitt mit 100 km/h und auf dem Autobahn-Testabschnitt aktiv. Bei gemäßigten Temperaturen ist die Niederdruck-Abgasrückführung dagegen fast immer aktiv, sogar im Standgas.
Weiter oben hatte ich geschrieben, dass die Katalysatortemperaturen höher waren als bei milden Temperaturen. Die verringerte Niederdruck-Abgasrückführung führt einfach zu höheren Verbrennungstemperaturen, damit zu höheren Werten für NOx vor SCR, aber auch zu höheren Abgastemperaturen. Die höheren Abgastemperaturen führen dann natürlich zu höheren Katalysatortemperaturen. Höhere Katalysatortemperaturen, solange sie nicht zu hoch sind, ermöglichen einen höheren Wirkungsgrad der SCR-Katalysatoren.
Bei solchen Außentemperaturen wird die Start/Stopp-Automatik ausgeschaltet. Die Frage, die man sich nun stellen kann, ist folgende: Wie verhält sich das SCR-System bei niedrigen Außentemperaturen im Standgas? Reicht die Abgastemperatur und der Abgasstrom zur Verdampfung von AdBlue? Die Antwort ist: ja
Die Abbildung zeigt die Rohdaten der Aufzeichnung beim Warten an einer roten Ampel bei -15°C. Zu Beginn liegt der AdBlue-Verbrauch (Spalte W) des Fahrzeugs seit Anbeginn der Zeit bei 11211,522g, 12 Sekunden später bereits bei 11212,047g. Innerhalb von 12 Sekunden Standgas wurden also rund 500mg = 460µl AdBlue verbraucht. Die Temperatur der SCR-Katalysatoren liegt hier mit 273°C und 243°C deutlich im funktionsfähigen Bereich, die NOx-Sensorwerte zeigen knapp 170ppm für NOx vor SCR, 3-5ppm für NOx zwischen SCR1 und SCR2, und 0-1 ppm für NOx nach SCR. Die Abgastemperatur im Standgas liegt bei über 230°C am ersten Sensor (S1 bei Exhaust temperature bank 1 in Spalte P). Bei milden Außentemperaturen im Standgas sieht man dort eher Werte um die 180°C. Die hohe Abgastemperatur vermeidet eine Auskühlung der SCR-Katalysatoren als Folge der niedrigen Außentemperaturen.
Da ich jedoch nicht die Ammoniak-Beladung protokolliert habe, kann ich nicht sagen, ob hier im Standgas der erste SCR-Katalysator gerade beladen wird, oder ob der Ammoniak, der aus dieser AdBlue-Menge gewonnen wurde, direkt verbraucht wurde. Im zweiten Fall läge der AdBlue-Verbrauch bei fast 2,5ml/min im Standgas, im ersten Fall wäre es deutlich weniger. Unabhängig von dieser Betrachtung bleibt aber die Aussage: Auch im Standgas bei -15°C funktioniert das AdBlue-System.
Vergleichsfahrt bei -5°C bis -10°C
Eine Vergleichsfahrt auf der gleichen Strecke bei -5°C bis -10°C (im folgenden: "normal niedrige Temperaturen") mit gleichem Fahrstil zeigt, dass in diesem Temperaturbereich das Verhalten der Abgasrückführung vergleichbar mit Fahrten bei höheren Temperaturen ist. Die oben beschriebene Betriebsart, mit weniger Niederdruck-Abgasrückführung, höheren Abgastemperaturen, höheren Katalysatortemperaturen, und höherem AdBlue-Verbrauch zu arbeiten, scheint also irgendwo zwischen -11°C und -14°C eingeschaltet zu werden.
In den folgenden Tabellen sieht man jeweils links Graphen aus der Fahrt bei normal niedrigen Temperaturen, rechts bei sehr niedrigen Temperaturen. Zunächst fällt beim Vergleich der Katalysatortemperaturen auf, dass die Katalysatoren bei sehr niedrigen Außentemperaturen wärmer sind. Das kommt eben daher, dass die Abgastemperatur hochgeregelt wird.
Die nächste Tabelle zeigt einen Vergleich der NOx-Sensorwerte. Bei normal niedrigen Außentemperaturen sind die Werte für NOx vor SCR (grün) viel niedriger als bei sehr niedrigen Außentemperaturen. Die Werte für NOx nach SCR (dunkelblau) sind durchweg niedrig:
Bei der Abgasrückführung wird der Unterschied besonders deutlich: Bei Stadtverkehr oder Geschwindigkeiten bis 80 km/h ist die Niederdruck-Abgasrückführung bei normal niedrigen Temperaturen aktiv, bei sehr niedrigen Temperaturen dagegen nicht. Zu erkennen ist das bei 80 km/h auf der linken Seite bei 1400-1500s, auf der rechten Seite bei 1550 bis 1650s:
Fazit
Zusammenfassend zu diesem Thema kann man sagen, dass die Abgasrückführung temperaturabhängig zu funktionieren scheint, und dass bei sehr niedrigen Außentemperaturen deutlich mehr Stickoxide im Motor produziert werden als bei gemäßigteren Temperaturen. Dafür steigt der AdBlue-Verbrauch aber erheblich an, so dass die Stickoxid-Emissionen am Ende normal ausfallen. Viele frühere Fahrzeuge, d.h. solche mit Abgasnorm Euro 6b, stehen im starken Verdacht, bei solchen Temperaturen wie in diesem Test überhaupt kein AdBlue mehr zu verbrauchen (siehe Thermofenster).