Abgasrückführung ist keine Abgasreinigung

Die Abgasrückführung spielt eine wesentliche Rolle bei der Verringerung der Stickoxid-Emissionen von Diesel-Fahrzeugen. Ziel dabei ist, durch Zumischen von Abgasen zur angesaugten Frischluft den Sauerstoffgehalt im Motor zu verringern, d.h. unter die 21 Prozent, die in normaler Frischluft enthalten sind. Als Folge sinkt und Verbrennungstemperatur, und bei der Verbrennung von Kraftstoff entstehen dann weniger Stickoxide. Bereits vorhandene Stickoxide werden davon nicht beeinflusst, das heißt, es handelt sich nicht um eine Abgasreinigung.

Dabei unterscheidet man zwischen Hochdruck- und Niederdruck-Abgasrückführung. Hat ein Fahrzeug beide Systeme, dann spricht man auch von einer Mehrwege-Abgasrückführung:

  • Die Hochdruck-Abgasrückführung entnimmt die Abgase am Abgaskrümmer direkt hinter dem Motor, inklusive dem enthaltenen Ruß, was zu den bekannten Verkokungsproblemen führt, wenn versucht wird, nur mittels Hochdruck-Abgasrückführung niedrige Stickoxid-Emissionen zu erreichen.
  • Die Niederdruck-Abgasrückführung entnimmt die Abgase erst, nachdem sie bereits durch den Partikelfilter gereinigt wurden, so dass die Niederdruck-Abgasrückführung keine Verkokung erleidet. Je nach Motor kann die Entnahme der Abgase direkt hinter dem Partikelfilter geschehen, oder auch erst nach der gesamten Abgasnachbehandlung. Da die Abgase der Niederdruck-Abgasrückführung unter anderem durch den Verdichter des Turboladers geführt werden, findet spätestens dort eine gute Durchmischung mit Frischluft statt. Sie ist bei gleicher AGR-Rate schon wirksamer als die Hochdruck-Abgasrückführung, und durch die bessere Durchmischung erlaubt sie allgemein höhere AGR-Raten. Insgesamt kann man durch die Niederdruck-Abgasrückführung deutlich niedrigere Werte für die NOx-Produktion erreichen als nur mit einer Hochdruck-Abgasrückführung.

Es gibt Motoren, bei denen die Niederdruck-Abgasrückführung nicht bei sehr hoher Last eingesetzt werden kann, weil hier am Ventil nicht genug Druck anliegt, damit die Abgase tatsächlich durch das Ventil strömen. Genauer: der Druck am Ventil der Niederdruck-Abgasrückführung muss höher sein als der Druck am anderen Ende, wo die Frischluft einströmt, andernfalls würde ja Frischluft rückwärts durch die Niederdruck-Abgasrückführung strömen. Zumindest beim EA288 und EA288 evo ist es aber nicht so. Hier bleibt die Niederdruck-Abgasrückführung auch bei hoher Last aktiv.

Bei Fahrzeugen mit Mehrwege-Abgasrückführung kann bei niedriger Last die Niederdruck-Abgasrückführung reduziert, und etwas Hochdruck-Abgasrückführung zugeschaltet, um die Temperatur insgesamt etwas zu erhöhen. Dadurch kann erreicht werden, dass Abgasreinigungssysteme wie z.B. ein AdBlue-System nicht unter Betriebstemperatur fallen, auch im Winter im Standgas. Bei noch kaltem Motor wird dadurch einfach erreicht, dass er schneller warm wird.

Journalisten behaupten fast durchgängig, dass die Abgasrückführung Abgase reinige. Das ist jedoch Unsinn. Kein einziges Stickoxid-Molekül verschwindet wieder durch die Abgasrückführung. Dass die Buchstaben "AGR" nicht nur in "Abgasrückführung", sondern auch in "Abgasreinigung" vorkommen, ist kein ausreichender Grund, um die Abkürzung "AGR" falsch als "Abgasreinigung" zu erklären. Im Gegensatz zu Journalisten verstehen Richter diesen Unterschied. Siehe [3] zur Rechtssache C‑693/18:

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff „Emissionskontrollsystem“ im Sinne dieser Bestimmung nur die Technologien und die Strategie der Nachbehandlung von Abgasen fallen, mit denen die Emissionen im Nachhinein, d. h. nach ihrer Entstehung, verringert werden, oder dahin, dass darunter auch diejenigen fallen, mit denen – wie mit dem AGR-System – die Emissionen im Vorhinein, d. h. bei ihrer Entstehung, verringert werden. 

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass es zwei Strategien gibt, die von den Herstellern in ihren Dieselfahrzeugen eingesetzt werden können, um die Schadstoffemissionen zu verringern. Zum einen handelt es sich dabei um die sogenannte „motorinterne Strategie“ wie das AGR-System, die darin besteht, die Entstehung von Schadstoffen im Motor selbst zu verringern, und zum anderen um die sogenannte „Nachbehandlung von Abgasen“, die darin besteht, auf die Abgasemissionen nach ihrer Entstehung einzuwirken.

...

Insoweit ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das AGR-System eine Einrichtung ist, die allein zur Verringerung und damit zur Kontrolle der NOx-Emissionen dient. Infolgedessen kann aus Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 nicht geschlossen werden, dass eine solche Einrichtung technisch nicht zum Emissionskontrollsystem gehören könnte, weil sie es ermöglicht, die Menge der NOx-Emissionen anhand im Voraus festgelegter Parameter zu kontrollieren.

Auch im Jahr 2023 weigern sich Journalisten noch, den Unterschied zu verstehen [8]. Es gibt sogar Gerüchte, nach denen man Stickoxide in Abgasen noch einmal verbrennen könnte [9]. Das Problem: Eine Verbrennung bedeutet immer, dass zu irgendetwas Sauerstoff hinzugefügt wird. Fachsprachlicher: eine Verbrennung ist eine Oxidation mit dem Oxidationsmittel Sauerstoff. Würde man NO2 noch einmal verbrennen, bzw. wäre das überhaupt möglich, käme fiktives NO3, also Stickstofftrioxid heraus. Die Behauptung von Journalisten, man könne Stickoxide noch einmal verbrennen und dadurch reinigen, gehört zu den größten Dummheiten, die im Zusammenhang mit diesem Thema verbreitet wurden.

Abgasreinigungssysteme (fachsprachlich: Abgasnachbehandlungssysteme) sind Systeme, in die vorne schadstoffreiche Abgase hineingehen, und hinten sauberere Abgase wieder rauskommen. In Fahrzeugen sind das z.B. der 3-Wege-Katalysator, der Ottopartikelfilter, der Dieseloxidationskatalysator, der Dieselpartikelfilter, der Stickoxid-Speicherkatalysator, der SCR-Katalysator und der Ammoniak-Sperrkatalysator.

Die meisten Diesel-PKW der Abgasnorm Euro 5 verfügen über Abgasrückführung, Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter, sie verfügen jedoch über kein Abgasreinigungssystem zur Nachbehandlung von Stickoxiden. Da sie über kein solches System verfügen, kann es auch nicht abgeschaltet werden. Nur einige wenige Euro 5 - Diesel-PKW verfügen über ein SCR-System, diese spielen jedoch statistisch keine Rolle. Die Behauptung, dass die Abgasreinigung bei Euro 5 - Fahrzeugen einem Thermofenster unterliege oder außerhalb von Labortests verringert oder abgeschaltet wird, ist daher größtenteils Unsinn. Weder der Dieseloxidationskatalysator noch der Dieselpartikelfilter unterliegen einem Thermofenster oder werden abgeschaltet oder können überhaupt abgeschaltet werden. Erst bei Euro 6 - Fahrzeugen kommen möglicherweise Thermofenster bei der Abgasreinigung zum Einsatz, dort bei SCR-Systemen.

Die Abgrenzung von Emissionsminderungssystemem allgemein und Abgasreinigungssystemen speziell ist deswegen wesentlich, weil für Abgasreinigungssysteme für Stickoxide bei Diesel-Fahrzeugen konkrete Temperaturvorgaben in der Abgasverordnung 692/2008 [1] zu finden sind (Betriebsbereitschaft spätestens 400 Sekunden nach Kaltstart bei -7°C, prinzipielle Funktionsfähigkeit von SCR-Systemen bei -15°C):

9.   Die Prüfung Typ 6 zur Messung der Emissionen bei niedrigen Temperaturen gemäß Anhang VIII gilt nicht für Dieselfahrzeuge.

Bei der Beantragung einer Typgenehmigung belegen die Hersteller der Genehmigungsbehörde jedoch, dass die NOx-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei –7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht, wie in der Prüfung Typ 6 beschrieben.

und

Der Hersteller muss gewährleisten, dass das Emissionsminderungssystem unter allen auf dem Gebiet der Europäischen Union regelmäßig anzutreffenden Umgebungsbedingungen und insbesondere bei niedrigen Umgebungstemperaturen seine Emissionsminderungsfunktion erfüllt. Dies umfasst auch Maßnahmen gegen das vollständige Einfrieren des Reagens bei einer Parkdauer von bis zu 7 Tagen bei 258 K (–15 °C) und 50 %iger Tankfüllung. Ist das Reagens gefroren, muss der Hersteller gewährleisten, dass es innerhalb von 20 Minuten, nachdem das Fahrzeug bei einer im Reagensbehälter gemessenen Temperatur von 258 K (–15 °C) angelassen wurde, zur Verwendung bereitsteht, damit das Emissionsminderungssystem ordnungsgemäß arbeiten kann.

Für Emissionsminderungssysteme ganz allgemein gibt es dagegen keine derart konkreten Vorgaben, sondern nur die Vorgabe, dass es unter vernünftigerweise zu erwartenden Betriebsbedingungen funktionieren muss. Das Landgericht Stuttgart hat im Urteil zum Aktenzeichen 7 O 265/18 sinngemäß folgendes entschieden: Der Verordnungsgeber habe in der 692/2008 definiert, dass Stickoxid-Nachbehandlungssysteme bei -7°C innerhalb von 400 Sekunden betriebswarm sein müssen. Offensichtlich hat der Verordnungsgeber beabsichtigt, eine Regulierung zu schaffen, bei der Abgassysteme auch bei niedrigen Außentemperaturen funktionieren. Daher könne man davon ausgehen, dass der Verordnungsgeber nicht im Sinne hatte, Thermofenster in der Abgasrückführung als Normalfall zu erlauben, erst recht nicht, wenn die Wirksamkeit bereits bei unter +15°C nachlässt. Das Urteil kann z.B. unter [5] nachgelesen werden.

Das Verbot von Abschalteinrichtungen bezieht sich auf Emissionsminderungssysteme ganz allgemein, nicht nur auf die Abgasreinigung. Daher sind Artikel wie [2] in diesem Punkt als völliger Unsinn zu bewerten: VW hätte nichts davon, als Argument zu verwenden, dass die Abgasrückführung im Zusammenhang mit Stickoxiden nicht zur Abgasreinigung gehört. Die Aussage, dass die Abgasrückführung keine Abgasreinigung darstellt ist korrekt, aber nicht hilfreich. VW hätte erklären müssen, warum die Abgasrückführung angeblich kein Emissionsminderungssystem sein soll. Das hätte VW aber nie schaffen können, da die Abgasrückführung offensichtlich zum Emissionsminderungssystem gehört.

Wer glaubt, dass die falsche Einordnung der Abgasrückführung als Abgasreinigung der größtmögliche vorstellbare Unsinn im Zusammenhang mit der Abgasrückführung ist, den muss ich enttäuschen: In einem Artikel von 2015 behauptet ein Autor tatsächlich [4]:

Seit über 15 Jahren ist mir persönlich bekannt, dass alle Dieselfahrzeuge deutscher Hersteller über eine Abschaltautomatik der Katalysatorenreinigung verfügen, die bei Temperaturen unter 8 Grad plus nicht mehr arbeitet. 

Die Aussage bezieht sich also auf Fahrzeuge aus dem Jahr 2000. Damals gab es in Dieselfahrzeugen nur die Abgasrückführung und den Dieseloxidationskatalysator. Den SCR-Katalysator gab es damals noch nicht einmal in LKW. Der Dieseloxidationskatalysator funktioniert aber einfach immer, sobald er betriebswarm ist. Er kann nicht abgeschaltet werden, selbst dann nicht, wenn man wollte. Dazu müsste mit das Gemisch angefettet werden, was bei Diesel-Motoren aber, anders als bei Benzinern, ohnehin nicht gemacht wird, da es keinen Zweck erfüllt. Offenbar hält der Auto hier die Abgasrückführung für einen Katalysator. Was ein Katalysator ist, lernt man eigentlich in der Schule im Chemieunterricht. Die Zuordnung der Abgasrückführung zu den Katalysatoren ist selbst für das Jahr 2015 erstaunlich schlecht.

Während in der Verordnung 715/2007 [6] der Begriff der Abschalteinrichtung noch mit Bezug auf das "Emissionskontrollsystem" definiert ist, verwendet die 2019/253 [7] den Begriff der "Abgasreinigungsanlage", wobei hier, wenn man den Kontext betrachtet, das Gesamtsystem gemeint ist, also das Gesamtsystem aus allen Emissionsminderungseinrichtungen, inklusive aller Katalysatoren, Partikelfilter, und auch der Abgasrückführung. Das macht in insofern Sinn, als dass dadurch mehr Bezug zur Wirksamkeit des Gesamtsystems hergestellt wird. Außerdem steuert die Abgasrückführung unter anderem die Abgastemperatur. Die Abgastemperatur wiederum ist für die schnelle Aufheizung von Katalysatoren bedeutend. Die Abgasrückführung beeinflusst also die Funktion von Katalysatoren. Ein Fahrzeug könnte auch zum Beispiel unter bestimmten Bedingungen die Abgasrückführung reduzieren, aber seinen AdBlue-Verbrauch so weit erhöhen, dass die Wirksamkeit des Gesamtsystems vergleichbar bleibt. Aber auch bei dieser Begriffswahl reinigt die Abgasrückführung keine Abgase. Außerdem kann die Begriffswelt der 2019/253 aus dem Jahr 2019 offensichtlich nicht auf Euro 5 - Fahrzeuge aus den Jahren 2007-2013 angewendet werden. Für Euro 5 - Fahrzeuge gilt die 715/2007.

Externe Links:

[1] Verordnung 692/2008, abgerufen: 28.01.2021

[2] Deutsche Umwelthilfe veröffentlicht brisante Dieselgate-Akten des Kraftfahrt-Bundesamts und des Bundesverkehrsministeriums (Quelle: DUH, abgerufen: 27.06.2021)

[3] URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) In der Rechtssache C‑693/18

[4] VW Diesel Skandal – Weshalb ich noch nie ein Auto mit Dieselmotor gekauft habe und auch nie kaufen werde! (erstmals veröffentlich: 2015, Quelle: wissen-agentur, abgerufen: 08.05.2022)

[5] Urteil zum Aktenzeichen 7 O 265/18 des Landgerichts Stuttgart

[6] Verordnung 715/2007

[7] Verordnung 2019/253

[8] VW-Ther­mo­fenster sind rechts­widrig (Quelle: LTO, abgerufen: 21.04.2023)

[9] Umwelthilfe schlägt wegen BMW-Abgaswerten Alarm (Quelle: N-TV, abgerufen: 13.06.2023)

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