Hardware-Nachrüstungen für Diesel-PKW
Hardware-Nachrüstungen an Diesel-PKW der Abgasnorm Euro 5 müssen im Wesentlich als gescheitert betrachtet werden. Aber warum ist es dazu gekommen? Darüber wurde ab Februar 2021 relativ viel geschrieben, aber nur wenig davon war sinnvoll, und man muss den Eindruck gewinnen, dass dort ohne guten Grund die Machenschaften von Politikern gedeckt werden sollen.
Tatsächlich war das BMVI1 und dessen Minister Andreas Scheuer maßgeblich daran beteiligt, das Projekt der Hardware-Nachrüstungen zu sabotieren, und damit sicherzustellen, dass mehr Neufahrzeuge verkauft werden. Immerhin hat er das selbst zugegeben, indem er sich gegen Hardware-Nachrüstungen und für "Flottenerneuerung" eingesetzt hat, auch noch im Oktober 2018 [6]. Wahrscheinlich können dadurch sogar in Zukunft Hardware-Nachrüstungen an besonders schmutzigen Benzindirekteinspritzern ohne Partikelfilter verhindert werden.
Aber der Reihe nach.
Bereits seit 1990 ist bekannt, dass die Schadstoffoptimierung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor eventuell nur im Prüfzyklus funktioniert (siehe Vorgeschichte).
Im Jahr 2008 wurde die Richtlinie 2008/50/EG [1] beschlossen. Ab 2010 galt für Stadtluft in Europa ein NO2-Grenzwert von 40µg/m³ im Jahresmittel. Als Stundenmittelwert muss ein Grenzwert von 200µg/m³ eingehalten werden. Deutschland hat dem zugestimmt. Dass Herr Scheuer als Verkehrsminister diesen Grenzwert also im Jahr 2018 plötzlich nicht mehr plausibel findet, mag zwar sein, ist aber etwas verwunderlich. Deutschland hat dem zugestimmt und muss sich nun daran halten, so lange, bis etwas anderes beschlossen wird.
Im Jahr 2010 wurde allgemein bekannt, dass auch Diesel-PKW der Abgasnorm Euro 6b die Emissionsgrenzwerte nicht einhalten. Journalisten und Politiker fanden daran jedoch in der breiten Masse nichts auszusetzen, es gab nur vereinzelt Kritik in der Presse, zum Beispiel beim Spiegel (siehe Vorgeschichte mit Quellenabgabe). Konsequenzen, wie zum Beispiel eine Erweiterung der vom ADAC damals durchgeführten Tests, wurden nicht daraus gezogen.
Im Jahr 2015 wurde allgemein bekannt, dass auch viele Diesel-PKW in den USA die Emissionsgrenzwerte nicht einhalten. Hier haben sich sowohl Politiker als auch Journalisten plötzlich überrascht gegeben. Überraschend war möglicherweise tatsächlich, dass das nicht nur in Europa, sondern auch in den USA so war. In Europa war zu diesem Zeitpunkt aber seit mindestens 25 Jahren bekannt, dass es nicht unüblich ist, wenn die Emissionsminderung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren nur um Testzyklus funktioniert.
Im Jahr 2017 demonstrierte Baumot/TwinTec im Rahmen eines Tests des ADAC, dass es im Prinzip möglich ist, einen VW Passat, Euro 5, so zu verändern, dass er die Emissionsgrenzwerte von Euro 5, möglicherweise sogar die von Euro 6, einhalten kann, wenn man ein SCR-System nachrüstet [2] (den Original-Artikel des ADAC finde ich nicht mehr). Bei dieser Demonstration muss das BMVI Panik bekommen haben, denn eine Nachrüstung an solchen Fahrzeugen würde bedeuten, dass Halter Geld in ihre Fahrzeuge investieren und dann diese Fahrzeuge noch einige Zeit lang nutzen, anstatt sie sofort nach Osteuropa zu verkaufen und sofort ein neues Auto zu kaufen. Das war auch deswegen ein Problem, weil die Höfe der Händler voller Benzindirekteinspritzer ohne Partikelfilter standen, und die mussten dort weg, um Platz für das nächste Modelljahr mit Partikelfilter zu schaffen. Leider hat Baumot/TwinTec hier einen Preis angegeben, der zuzüglich Einbau und Mehrwertsteuer zu verstehen war. So wären aus 1500€ schon mal über 2000€ geworden. Dabei wurde auch nicht berücksichtigt, dass manche Anforderungen, mit denen Baumot/TwinTec nicht gerechnet hat, wie ein Monitor zur Darstellung des Zustandes des AdBlue-Systems, direkt aus der Abgasverordnung 692/2008 folgen und selbst dann nicht hätte vermieden werden können, wenn das BMVI das gewollt hätte.
Journalisten haben leider, wie so oft, sehr viel Unsinn verbreitet. Der größte Unsinn dürfte gewesen sein, dass Hardware-Nachrüstungen angeblich eine "Nachrüstung auf Euro 6" darstellen würde, was natürlich falsch ist, falsch war, für jeden mit ausreichend Sachkenntnis als falsch zu erkennen gewesen wäre und als falsch hätte erkannt werden müssen. Das gilt auch für Links in diesem Artikel, z.B. [2], die ich nur verwende, weil der ADAC-Artikel, der zu [2] gehört, nicht mehr auffindbar ist. Leider wurden dadurch falsche Erwartungen geweckt. Später wurde dann fälschlich behauptet, dass solche Hardware-Nachrüstungen ohne eine Umschlüsselung auf Euro 6 keinen Sinn machen würden, weil sonst Fahrverbote nicht vermieden werden könnten. Auch dieser Unsinn wäre für jeden Journalisten mit etwas Sachkenntnis leicht als Unsinn erkennbar gewesen: Bereits bei der Nachrüstung von Partikelfiltern an Diesel-PKW mit Euro 2 und Euro 3 ab 2007 hat der Gesetzgeber bewiesen, dass man per Gesetz definieren kann, dass Fahrzeuge, die mittels einer Hardware-Nachrüstung verbessert werden, auch rechtlich besser gestellt werden können und zum Beispiel von Fahrverboten ausgenommen werden können. Damals wurde das dadurch realisiert, dass Diesel-Fahrzeuge mit Euro 2 oder Euro 3 mit DPF eine bessere Plakette bekommen haben als diejenigen ohne DPF. Es wäre für jeden Journalisten mit etwas Sachkenntnis leicht zu erkennen gewesen, dass das gleiche Prinzip 12 oder 13 Jahre später erneut angewendet werden kann. Und es wurde erneut angewendet, wenn auch dieses Mal nicht mittels farbigen Plaketten.
Im Jahr 2018 hat der ADAC über einen Test an 4 Fahrzeugen berichtet [4]. Dieser Test wurde als Langzeittest über 50.000 km fortgesetzt, wobei ein Fahrzeug bei einem Unfall zerstört wurde. Das Ergebnis haben Journalisten im Wesentlichen nicht verstanden: Währen Baumot/TwinTec immer nur anhand eines VW die Machbarkeit demonstriert hat, sollten sie nun einen Opel Astra umrüsten, der sich in wesentlichen Merkmalen Unterschied. Das Ergebnis war weniger überzeugend als beim VW Passat. Der Test war nicht unfair, denn Nachrüster müssten in der Lage sein, Systeme für alle relevanten Fahrzeugmodelle anzubieten, und der Test hat gezeigt, dass die Anpassung an ganz andere Fahrzeuge nicht ganz so leicht ist. Journalisten, die geschlussfolgert haben, dass es nicht funktioniert, waren aber offenkundig damit überfordert, den Test überhaupt zu verstehen.
In der Zwischenzeit hatte das BMVI Gutachten erstellen lassen, laut denen Hardware-Nachrüstungen 10.000€ kosten sollen. Was das BMVI verschwiegen hatte: Diese Kosten entstehen nur, wenn man massive Umbauten an den Fahrzeugen macht, um den Tankstutzen des AdBlue-Tanks neben den des Diesel-Tanks zu legen, wie es bei Neufahrzeugen der Fall ist. Oder wenn man auf jeden Fall die Euro 6 - Grenzwerte einhalten will, was jedoch weder notwendig noch gefordert war. Es hätte völlig ausgereicht, wenn Euro 5 - Fahrzeuge die tatsächlichen Euro 5 - Grenzwerte einhalten, denn ohne Nachrüstung liegen sie im Durchschnitt beim 5-fachen. Die korrekte Interpretation wäre gewesen: Bei der Nachrüstung eines AdBlue-Systems wird man mit einem AdBlue-Tank im Kofferraum leben müssen, und die Fahrzeuge werden die Euro 5 - Grenzwerte einhalten oder fast einhalten, aber wahrscheinlich nicht die Euro 6 - Grenzwerte. Über dieses Gutachten berichtet zum Beispiel Motor-Talk [3]. Die Original-Dokumente sind beim BMVI nicht mehr verfügbar, können aber angefordert werden.
Eine weitere von den Herren Scheuer und Dobrindt immer wieder vorgebrachte Falschbehauptung ist: Das Problem sei in Software verursacht worden und müsse daher in Software gelöst werden. Beide haben sich geweigert zu verstehen, dass die Software-Lösung dazu diente, die Hardware preisgünstiger gestalten zu können. Oder sie haben es verstanden, haben aber gehofft, dass ihre Zuhörer das nicht merken.
Als ob das alles nicht schlimm genug wäre, hat das BMVI sogar das KBA Werbebriefe verschicken lassen, in denen Fahrzeughalter aufgefordert wurden, sich endlich ein neues Auto zu kaufen. Dazu sollte man sich ausschließlich (!) an die Hotlines von VW, BMW oder Mercedes wenden. Das schreiben sah so aus:
Um es nochmal klar zu sagen: Dieser Brief ist nicht der Fehler irgendwelche Automobilhersteller. Das KBA bzw. das BMVI können allein entscheiden, welche Briefe sie verschicken. Das KBA hat rechts oben dazu aufgefordert, sich ausschließlich an die Hotlines von BMW, Mercedes und VW zu wenden.
Am 28.12.2018 erschienen Pressemeldungen, laut denen die technische Vorschrift für Hardware-Nachrüstungen veröffentlicht wurden [5]. VW hat darauf sehr erstaunt reagiert. Da Minister Scheuer - nach sehr langer Sabotagepolitik - angekündigt hatte, dass diese noch 2018 veröffentlicht werden würden, war das Erstaunen seitens VW schon erstaunlich, denn am 28.12.2018 wurde es höchste Zeit dafür, wenn "noch 2018" eingehalten werden sollte.
Die tatsächliche Vorschrift wurde dann im Sommer 2019 veröffentlicht. Erst ab diesem Zeitpunkt kannten die Nachrüst-Anbieter die genauen Vorschriften und konnten Anträge auf Zulassung schreiben und einreichen sowie letzte Anpassungen an ihren Systemen vornehmen. Eine Markteinführung noch 2019 wäre sehr sportlich gewesen. Zu diesem Zeitpunkt wurden aber Hardware-Nachrüstungen im Wesentlichen schon nicht mehr benötigt, da alle Betroffenen ihre Fahrzeuge bereits nach Osteuropa verkauft hatten und, dank Anti-Diesel-Propaganda von Anti-Diesel-Trollen, auf einen Benzindirekteinspritzer umgestiegen waren. Am besten einen jungen Gebrauchten mit Euro 6b ohne Partikelfilter. Allein durch die massive Verzögerung, die das BMVI durch Lügen oder einfach Arbeitsverweigerung verursacht hat, waren Hardware-Nachrüstungen an Euro 5 - Fahrzeugen nicht mehr nötig, als sie verfügbar wurden.
Ohne diese Sabotage des Vorhabens hätten diese System mindestens 12, vielleicht sogar 18 Monate eher verfügbar sein können, also rechtzeitig, bevor Betroffene sie benötigt hätten, rechtzeitig, damit Betroffene nicht ihre Fahrzeuge nach Osteuropa hätten verkaufen müssen.
Durch die erfolgreiche Sabotage der Hardware-Nachrüstungen wird das BMVI bei der nächsten Runde argumentieren können, dass Fahrzeughalter sowieso lieber neue Fahrzeuge kaufen, anstatt vorhandene Fahrzeuge zu reparieren. Das kann Benzindirekteinspritzer ohne Partikelfilter betreffen, es könnte theoretisch auch Diesel-PKW mit Euro 6b treffen, falls der NO2-Grenzwert für Stadtluft von 40µg/m³ auf 20µg/m³ gesenkt wird.
Fußnoten
1: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
Externe Links
[1] RICHTLINIE 2008/50/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES (Quelle: lex-europa, abgerufen: 03.03.2021)
[2] Euro-6-Nachrüstung: ADAC bestätigt Funktion (Quelle: automobil-industrie.vogel und ADAC, abgerufen: 03.03.2021)
[3] EXPERTEN: DIESEL-NACHRÜSTUNGEN SIND TEUER UND UNWIRKSAM (Quelle: Motor-Talk und BMVI, abgerufen: 03.03.2021)
[4] NOx-Reduzierung an Euro 5 Dieselfahrzeugendurch Hardwarenachrüstung (Quelle: ADAC, abgerufen: 03.03.2021)
[5] BMVI legt Vorschriften für Diesel-Nachrüstung vor (Quelle: Heise, abgerufen: 03.03.2021)
[6] Scheuer hält an Flottenerneuerung fest (Quelle: Deutscher Bundestag, abgerufen: 20.03.2021)